7. Dezember 2015

Macht der Worte (1)

Die Macht der Worte, Sprachpsychologie, Linguistik
Als Dozentin an der Uni Konstanz hatte ich vor ein paar Jahren ein Gespräch mit einer Studentin. Sie studierte Soziolinguistik. Auf meine Nachfrage weswegen sie das machte, erhielt ich die Antwort "weil ich sonst nirgends untergekommen wäre." Den Studiengang fand sie in sich als total unsinnig. Nachdem ich ihr die Bedeutung der Sprachpsychologie und insbesondere der Soziolinguistik aus Sicht des Marketing erklärt hatte, wurde sie sehr nachdenklich. Ihre Sicht zum Studium veränderte sich, es wurde zielführend, sinnvoll, sie konnte zukünftig darauf aufbauen.

Die Macht der Worte


Was ein Sender (Sprechender) sendet kann etwas anderes sein, als das was ein Empfänger als gehört wahrnimmt. Vermutlich kennen Sie die Kommunikationsebenen: Inhaltsebene, Prozessebene, Beziehungsebene. Doch darauf möchte ich in diesem Blog nicht eingehen.
Mindestens genauso interessant wie die Kommunikationsebenen finde ich die Beobachtung der eigenen Sprache und das achtsame Wahrnehmen.

Beispiel: Eine Kundin von mir erzählte von ihrem 'Groll' gegen ihren Vater. Sie, eine sehr gepflegte Dame mittleren Alters, die offensichtlich Wert auf ihre Erscheinung und Auftreten legte, ändert sich in ihrem Verhalten abrupt, sobald es um ihren Vater ging. Ihr Gesicht drückte Ekel aus und sie sprach in Fäkalsprache. Alles sei 'scheiße', er wäre ein 'Arschloch'.  Er habe sie nie wirklich gesehen, das sei auch heute noch so. Sie gab ihm die Schuld an den Niederlagen in ihrem Leben.
Die Fäkalsprache gab mir einen Hinweis auf ein tiefenpsychologisches Ereignis in der analen Phase . Das ist die Phase, in der wir lernen, dass es ein Ich und ein Du gibt. Altersmässig ungefähr kurz vor dem zweiten bis Mitte des dritten Lebensjahrs.
Während einer hypnosystemischen Sitzung erinnerte sie sich, dass sie nur ihre Mutter als präsent wahrgenommen hatte. Der Vater sei wenig zuhause gewesen. Der Grund war schnell gefunden: er arbeitete als Service-Techniker und war häufig unterwegs. Wenn er zuhause war, dann wollte er seine Ruhe haben, schlafen oder mit der Mutter alleine sein.
Der von der Kundin beschriebene Groll beinhaltet den Wortteil roll. Daher schauten wir auch nach, was die Kundin damit assoziierte. Sie erkannte, dass -sobald der Vater in der Familie sichtbar wurde- eine Kälte-Front auf sie zurollte, die ihr Angst machte und sie blockierte. Daraus entwickelte sie später, dass sie nach der väterlichen Wärme bei Männern suchte. Die jedoch nirgends fand, da nur Männer mit ähnlichem Verhalten wie ihr Vater, für sie interessant schienen. Was zur Folge hatte, dass sie drei Mal geheiratet hatte und aktuell wieder in Scheidung lebt.
In den hypnosystemischen Sitzungen erkannte sie ihren Weg zu sich. Im Moment ist sie dabei, diesen Weg zu sich und für sich zu erkunden. Das ist nicht immer einfach, denn nun fehlt der Buh-Mann. Sie übernimmt die Verantwortung für sich und findet in sich, ihre Antworten auf aktuelle Lebensfragen. Dabei beobachtet sie sich und ihr Bewertungsmuster und übt sich spielerisch in der Nutzung von Euphemismen.

Euphemismen

Als Kinder lern(t)en wir alle Tabuwörter, 'böse' Wörter, die niemand sagen darf. Nutzen wir diese dennoch, dann lösen sie in unserem Körper Stresssymptome aus. Ein Kreislauf kann beginnen, der relativ leicht über die Beobachtung und vor allem Veränderung der eigenen Sprache unterbrochen werden kann.
Euphemismen sind Stilmittel, mit denen wir die gleiche Bedeutung ansprechen, sie jedoch anders formulieren. Im Ergebnis wird das, was zum Ausdruck kommt, als weicher vom Umfeld wahrgenommen.

Beispiele für Euphemismen:
Bildungsfern <-> statt dumm
Nullwachstum <-> statt Stagnation
Mimikfältchen <-> statt Falten
Kostenintensiv <-> statt teuer
extravertriert <-> statt vorlaut

Sprache und damit verbundene Konzepte

Eltern bringen ihren Kindern bestimmte Sprachformen bei. Wortwahl, Grammatik und die Nutzung der verschiedenen Zeitformen ermöglichen den Kindern im späteren Leben leichter und kreativer mit Sprache umzugehen.

Beispiel - Waldspaziergang:
Stellen Sie sich vor, Sie gehen mit einem Kind im Wald spazieren. Sie hören es hier rascheln, dort knistern, weiter vorne fällt ein Tannenzapfen klatschend in eine Pfütze. In dem Sie, als Erwachsene/r die Ereignisse in ihrem Umfeld wahrnehmen und beispielsweise in eine Spaziergang-Geschichte verpacken, umso lieber wird das Kind in den Wald gehen und seine Umgebung achtsam betrachten. Gleichzeitig schult es die Kreativität des Kindes. Ein Blatt wird plötzlich vom Wind sanft auf den Boden getragen, eine Feder tanzt in der Luft vorbei, während die Grillen  ihr Lied auf der Wiese spielen. ... erinnern Sie sich an ihren letzten Spaziergang, was fällt Ihnen dazu ein?

Beispiel - Worte für die Sinne:
Kennen Sie Romane, bei denen Sie beim Lesen in die phantastische Welt des Autors eintauchen? Innere Bilder scheinen die Realität der gelesenen Worte erlebbar zu machen. Die dramatische Verfolgung von jemandem lässt ihren Puls höher schlagen, das rührende Liebesgeständnis eines Teenies an seine erste Freundin bringt sie zum Schmunzeln. Die inneren Bilder sind wunderbar lebendig, sie befinden sich in einem hypnotischen Zustand.
Gleiches passiert in Hypnose. Alltagseindrücke treten in den Hintergrund, die Aufmerksamkeit wird auf bestimmte Ereignisse fokussiert. Vergangenes kann auch in Symbolen visualisiert und emotional bearbeitet werden.

Heuristik - Vorsicht Vorurteil

Heuristiken sind verkürzte kognitive Operationen, mit deren Hilfe wir schnelle Schlussfolgerungen ziehen können. Beispielsweise beim Autofahren, wenn jemand vor uns bremst, dann sollten wir nicht erst überlegen müssen, welche Hand und welcher Fuß sich in welcher Reihenfolge bewegen sollte, um auch zu bremsen.
Heuristiken werden auch gerne in der Sprache genutzt, z.B. bei Überschriften. Was verbinden Sie mit "Fouls, Pfiffe und Fehlentscheidungen"? Abhängig von ihrer bevorzugten Sportart wird ihre Antwort in die entsprechende Richtung gehen.
Der Vorteil des schnelleren Denkens liegt klar auf der Hand. Gleichzeitig haben wir eine sehr große Gefahr, denn Urteilsfehler und Vorurteile können unsere Wahrnehmung genauso schnell prägen.

Hand aufs Herz, wie reagieren Sie auf jemanden, der ihnen stotternd oder stark lispelnd erzählt, dass er/sie mehrere Sprachen spricht. Trauen Sie das dem entsprechenden Menschen zu?
Vorsicht, Sprechstörungen sind etwas ganz anderes als Probleme mit der Sprache oder gar der Intelligenz.

Etymologie


Beim Recherchieren für diesen Blog-Beitrag kam ich auch auf den Begriff "Etymologie". Obwohl mir das, was es bedeutet schon lange bekannt ist und ich es auch in meiner Praxis nutze, ist der Begriff für mich neu. Er beschreibt die in einem Wort angelegte "Wahrheit", die mit Hilfe von Ähnlichkeiten zu anderen Wörtern eine erweiterte Auskunft über die ursprüngliche Wortbedeutung ermöglichen.

Ein Beispiel nannte ich bereits im Absatz "Die Macht der Worte":
Groll -> in ihm ist 'roll' enthalten. Also aufrollen, zu rollen, abrollen, rollen. Was verbinden Sie mit Groll und mit rollen/Rollen?

Weitere Beispiele:
Nachrichten: nach etwas richten, nach: hin (Richtungsangabe), richten: ausrichten, anrichten, Gericht (Meinungsbildung), verrichten, ....

Welche Beispiele fallen Ihnen ein?

Metaphern 

Metaphern sind rhetorische Figuren, die etwas in einer übertragenen Bedeutung beschreiben.

Beispiele:
- visuell:  Sie schauen in das Zimmer eines Jugendlichen und stellen fest "das sieht aus wie in einem Saustall."
Vermutlich würde ein Landwirt, der Schweine züchtet, diese Metapher nicht nutzen.

- Glaubwürdigkeit: "Wenn meine Verse meine Zehen überholt, dann stimmt deine Aussage."

- emotional: "Mir läuft ein Schauer über den Rücken".
Abhängig davon was jemand mit einem Schauer verbindet, wird die Aussage verstanden.

Metaphern hängen unmittelbar mit der Bedeutung zusammen, die in Verbindung gebracht wird. Lera Boroditsky, Kognitionswissenschaftlerin der Stanford University, veröffentlichte eine Untersuchung, in der ein Text das Kriminalitätsproblem beschrieb. Dabei wurde ein Mal die Kriminalität als "wildes Tier" bezeichnet und ein anderes Mal als "Virus". Aufgabe der Versuchspersonen war, Lösungen zu finden, wie die Kriminalität in diesem Ort reduziert werden könnte.
Im Ergebnis wurde sichtbar, dass die Probanten, denen die Assoziation mit dem wilden Tier präsentiert wurde, in der Kriminalprävention mit Kriminellen vorgingen, als seien sie wilde Tiere. Während die Probanten, denen die Metapher des Virus für Kriminalität gezeigt wurde, in die Ursachen-Forschung gingen und die Ursache der Kriminalität lösen wollten.

Stellt sich die Frage: Wie sehe ich meine Umwelt? Welche Vergleiche trage ich in mir? Wenn ich an jemanden oder an eine Sache denke, was würde dem Menschen oder der Sache entsprechen? Welche Metapher kommt als erstes?
Dieses Vorgehen kann helfen, sich selbst und seine Einstellung zur Umwelt in einem ganz neuen Licht zu sehen.

Ich wünsche viel Spass bei der Selbstbeobachtung und beim Testen.

Mit herzlichen Grüßen

Karin Pietzek

kybkom.de
info@kybkom.de



Bild: shutterstock_339028025

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